Dienstag, 22. Mai 2012

Das Holzbein von nebenan

Vor zwei Wochen steckte dieses Holzbein plötzlich hinter dem Zaun gegenüber meiner Haustür. Ich hoffe inständig, dass es mich nicht in die Verlegenheit bringt, folgendes Zeitungsinterview geben zu müssen. 

ZEITUNG: Herr D., Sie wohnen fünf Meter vom besagten Krankenhaus entfernt, gucken vom Schreibtisch aus direkt auf den Hof des Anbaus, dessen Bild seit Wochen alle Nachrichten füllt - behaupten Sie wirklich, Sie hätten niemals irgendwelche Anzeichen dafür bemerkt, dass sich im Keller des Gebäudes eine Kinderschredderei befindet? Eine Anlage in der jahrelang systematisch Kinder gehexelt wurden?

ICH: Nein. Eigentlich nicht.

ZEITUNG: Aber Sie müssen dir Kinder doch gesehen haben?

ICH: Ja schon... es spielten immer Kinder im Hof. Mit Bällen oder sie spielten Fangen.

ZEITUNG: Was haben Sie gedacht, was das für Kinder sind?

ICH: Ich dachte die liegen da im Krankenhaus.

ZEITUNG: Sie dachten die Kinder sind krank, liegen im Krankenhaus und spielen zwischendurch einfach mal Fangen, bevor sie sich wieder krank ins Bett legen?

ICH: So wie sie es jetzt sagen, klingt es etwas seltsam. Aber in Grunde habe ich das gedacht, ja.

ZEITUNG: Und dass es jeden Tag andere Kinder sind, ist Ihnen nie aufgefallen.

ICH: Nein - Kinder unter 8 Jahren sehen für mich alle mehr oder weniger gleich aus.

ZEITUNG: Ist das Ihr Ernst?

ICH: Ich habe einfach nie genau hingeguckt, was da für Kinder spielen. Das kam mir völlig normal vor.

ZEITUNG: Fanden Sie es auch "völlig normal", als Sie das abgehackte Bein eines Kindes hinter dem Zaun Ihres Nachbarhauses gefunden haben?

ICH: Ich dachte es wäre ein Holzbein.

ZEITUNG: Wie bitte? Sie dachten es wäre ein Holzbein?

ICH: Es ist halt ein Krankenhaus.

ZEITUNG: Sie werden doch eine Holzprothese von einem Leichenteil unterscheiden können? Und abgesehen davon - finden Sie es normal, dass hinter einem Zaun zum Krankenhaus eine Beinprothese liegt?

ICH: Nein. Das fand ich auch seltsam. Deswegen habe ich es ja fotografiert.

ZEITUNG: So weit sind wir also? Wenn man eine Leiche findet, oder zumindest einen Teil davon, ruft man nicht die Polizei oder macht sich überhaupt irgendwelche Gedanken, sondern man fotografiert es und vergisst die Sache?

ICH: Ich dachte ja es wäre ein Holzbein.

ZEITUNG: Erlauben Sie mir einen persönlich Kommentar. Selbst wenn sie strafrechtlich mit dieser "Holzbein"-Story durchkommen sollten, hoffe ich, dass Sie die Seelen dieser geschredderten Kinder den Rest Ihres Lebens heimsuchen werden - jede einzelne Nacht Ihres erbärmlichen Lebens. Vielen Dank für das Interview.

1 Kommentar:

  1. "Eine Anlage in der jahrelang systematisch Kinder gehexelt wurden"

    Mir tut mein Bauch weh vor lachen! ;-D

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